Donnerstag, 8. März 2012

„Kony 2012“ - Warum gut gemeint nicht immer zwangsläufig gut sein muss

Irgendwie wird man doch täglich mit irgendwelchen brandaktuellen Nachrichten und Eilmeldungen überschüttet und natürlich war es heute auch nicht anders. Trotzdem möchte ich die aktuelle „Kony 2012“ Kampagne, die gerade aus den Vereinigten Staaten zu uns herüber schwappt, zum Anlass nehmen, um über etwas ganz grundsätzliches zu schreiben, nämlich davon, dass etwas, dass eigentlich gut gemeint ist nicht immer zwangsläufig auch gut sein muss.

Das Video, welches mir Anlass dazu gab mich mit Kony 2012 intensiver zu beschäftigen, macht sich gerade in windeseile über Facebook, Twitter & Co. breit. Als politisch interessierter Mensch kam ich natürlich nicht drum herum mir das knapp 30 minütige Video anzusehen. Eins vorab: Das Video kann sich wirklich mit einer exzellenten Regie- und Schnitttechnik rühmen!
Das Video beginnt, ganz hollywood typisch, sehr dramatisch. Dem Zuschauer wird die Geschichte eines Jungen aus Uganda, dem der Regisseur ebenda begegnete, erzählt. Der Junge, Jacob ist sein Name, berichtet in dem Video davon, wie sein Bruder von der Lord's Resistance Army (kurz: LRA) mitten in der Nacht überfallen und ermordet wurde. Daraufhin beschließt der Regisseur, der selbst einen Sohn hat, sich der Sache anzunehmen und eine Kampagne zu starten. Im Laufe des Filmes wird dem Zuschauer präsentiert, wie die Organisation, die sich „invisible children“ nennt, wächst und wächst und allmählich auch Erfolge, vornehmlich in den Vereinigten Staaten auf politischer Ebene, verbuchen kann. Schlussendlich erreicht die non-profit Organisation, dass amerikanische Truppen nach Uganda geschickt werden, um mit Waffengewalt die LRA zu zerschlagen. Doch als Folge des Eingreifens der Amerikaner taucht Joseph Kony, der Anführer der LRA, ab und ist unauffindbar. Nun wird dem Zuschauer die Strategie präsentiert, mit der ein Jeder dazu beitragen könne, Joseph Kony dingfest zu machen: „Make him famous!“ zu deutsch: Macht ihn berühmt!
Wenn jeder Mensch das Bild von Kony kenne, dann würde es für ihn unmöglich sein sich weiterhin zu verstecken.

Erst spät wurde mir bewusst, dass hinter der absolut unterstützenswerten Sache, Joseph Kony, einen Verbrecher, unschädlich zu machen, eine nicht ganz so unterstützenswerte Strategie liegt, die den meisten Zuschauern, von Emotionen geschüttelt, wohl nicht ganz bewusst werden mag. Was mich an der Organisation, zunächst einmal, objektiv stört, ist, dass sie es unterstützt amerikanisches Militär nach Uganda zu schicken um dort „aufzuräumen“. Das gesamte Video kontrastiert meiner Meinung nach zu stark zwischen „gut“ und „böse“, zwischen dem „zivilisiertem, weißen Westen“ und dem „armen, schwarzen Afrika“. Dem Zuschauer wird vermittelt, dass sich die Afrikaner niemals selbst aus dieser Misere befreien können und es westlicher, respektive amerikanischer, Hilfe bedarf, um den Menschen in Afrika zu helfen. Dort, in diesem Video, durch die gesamte Kampagne wird genau das gerechtfertigt, was die meisten westlichen Länder schon lange tun: Krieg führen unter dem Deckmantel der Humanität. Doch würden sich einige Leute mal in der Welt umschauen, mal dorthin blicken, wo ihre „Weltpolizei“ schon länger tätig ist, in Afghanistan, im Irak, dann würde Ihnen hoffentlich bewusst werden, dass es dort keinen Frieden gibt. Die im Video geforderte „Army of Peace“ wird genau das erreichen, was die ganzen anderen Einsätze der Amerikaner vorher auch erreicht haben: Krieg, Leid, Tod.
Die Leute werden nicht dazu angehalten nachzudenken, von ihnen wird lediglich bloßer Hass gefordert, es wird in perfider Weise mit Emotionen gespielt und nur wenige kommen dazu nach dem Video ein wenig weiter zu recherchieren und herauszufinden, dass „Kony 2012“ auch von anderen non-profit Organisationen bereits mehrfach kritisiert worden ist, vor allem bezüglich des Umgangs mit den Spendengeldern, wovon nur zirka 30 Prozent in humanitäre Hilfe in Uganda fließen, der Rest wird genau dafür ausgegeben, was wir gerade erlebt haben: Aufwändige Werbevideos.

Ich finde es schade und gefährlich, dass der gute Wille der Leute, etwas in der Welt zu verändern, derart benutzt wird, um eigene Interessen durchzusetzen. Ich bin absolut davon überzeugt, dass es Protest gegen jede Form von Ungerechtigkeit geben muss, aber genau diese Einstellung, die auch viele, viele andere Menschen teilen, wird viel zu oft dafür benutzt, um an ihr Geld zu kommen und andere Ziele zu verfolgen, die mit Frieden und Gerechtigkeit in der Welt, wenig zu tun haben.


Freitag, 2. März 2012

„Gütesiegel erster Klasse“ - Die Idee eines geeinten Europas und ihre Wirklichkeit

Europa kennt keine geographischen Grenzen, Europa ist eine Idee und jeder, der diese Idee teilt, ist Teil Europas.
Hört sich doch äußert blumig an das Ganze. Europa als Idee, als Vision, als Friedensunion, die ihren Bürgern Wohlstand, Frieden und gesellschaftlichen Fortschritt sichern soll. Doch die Realität sieht leider anders aus. Ganz anders.

Der Grund, warum die Menschen so wenig vertrauen in „ihre“ Union des Friedens und des Fortschritts haben liegt nicht zuletzt darin, dass viele Menschen der Ansicht sind, dass nicht die Völker in Europa herrschen, sondern Lobbyisten und Politiker. Und sind diese Ansichten tatsächlich so abwegig?
In Serbien jubelten die Menschen angesichts der Botschaft aus Brüssel: Serbien ist nun offiziell Beitrittskandidat. In Zeiten der Wirtschaftskrise verspricht es den Serben vor allem eins: Ein Gewinn an Vertrauen der Investoren in Serbiens Wirtschaft. Es ist auf der einen Seite verständlich, dass sich die Menschen angesichts der Krise nach Sicherheit sehnen, doch auf der anderen Seite.. entspricht dies wirklich dem europäischem Geist, der europäischen Idee? Ein Gütesiegel für ausländische Investoren? Nicht mehr, als so etwas wie der TÜV der Wirtschaft? Ironischerweise hinkt dieser Vergleich nicht einmal sonderlich. Die deutsche Regierung herrscht mit eiserner Hand über Europa, treibt den Sozialabbau in krisengeschüttelten Ländern voran und spielt den Banken direkt in die Hände. Und nicht nur die deutsche Regierung ist es. In dieser Hinsicht besteht schon seit langem ein Konsens innerhalb der EU.

Also sind wir, oder vielmehr unsere Vertreter, gerade dabei die noble Idee eines geeinten Europas in eine pervertierte Form einer Wirtschaftsunion zu verwandeln? Diese Frage stelle ich mir angesichts der neuesten Entwicklungen in letzter Zeit immer häufiger. Die Antwort ist nicht schwer zu finden, sie wurde uns in den letzten Jahren schließlich häppchenweise zugeführt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Menschen über ihre Politiker massenweise erbrechen werden. Ich glaube an ein geeintes Europa, ich glaube an diese wunderbare Idee und deshalb werde ich nicht dabei zusehen, wie diese Idee langsam zugrunde gerichtet wird. Es ist an der Zeit für einen Umbruch zu sorgen, für eine volksherrschaftliche Neugründung der Europäischen Union, eine Union in der sich Europas Menschen zu Hause fühlen, die sie stützen und für die sie eintreten und die sie gegen ihre Feinde verteidigen. Es ist an der Zeit, dass wir endlich auf die Straßen gehen und unser Recht fordern, dass wir das fordern, was uns schon in der Geburtsstunde der Europäischen Union versprochen und bis heute vorenthalten wurde.

Dienstag, 28. Februar 2012

„Yossi & Jagger“ - Israelisches Liebesdrama

„Brokeback Mountain“ hat es uns gezeigt: Filme die von zwei sich liebenden Männern handeln, können das Herz genauso berühren wie es die hetero Pendants können und das beste dabei ist, dass sie dabei nicht gleich in den Kitsch abdriften.
Nun nehmen sich aber nicht viele Regisseure einer solch heiklen Thematik an, wie man es sich eventuell wünschen würde. Umso mehr hat es mich dann überrascht, als ich zufällig von einem Film gehört habe, der von der Liebe zweier Soldaten erzählt und zudem noch in Israel produziert wurde. „Wenn sich das mal nicht vielversprechend anhört“, dachte ich mir! Und ich wurde nicht enttäuscht.

Man wird in einem angenehmen Tempo in die Handlung eingeführt. Zu Anfang sieht man mehrere Soldaten, die lachend und scherzend ein Grab auf einem schneebedecktem Berg ausheben. Erst später wird klar, wofür das Grab ausgehoben worden ist: Einige Lebensmittel sind in einem ausgefallenem Kühlschrank verdorben und sollen nun beseitigt werden. Ein paar andächtige Worte werden gesprochen und dann wird das madige Fleisch hinein geworfen in das kalte Loch.

Jagger ist ein attraktiver, junger Soldat, der gut mit seinen Kameraden auskommt. Zu Anfang wird er von seinem ernsten, wortkargen Vorgesetzten Yossi mit auf Streife genommen. Als sie einen Abhang hinuntergehen fangen sie an sich mit Schneebällen zu bewerfen und schnell liegen beide auf dem Boden. „Gott, wie kitschig!“, möchte man dabei zuerst denken. Doch das ist der magische Moment, indem man alle seine Vorurteile (wenn man sie denn hat) über Bord wirft und nur die Liebe zwischen den beiden Männern sieht. Dann jedoch besinnt man sich wieder auf die Situation in der sich die beiden befinden und erkennt, dass dies keine normale Liebe ist und sein kann, sie können es nicht öffentlich zeigen, es ist ihr gemeinsames Geheimnis.
Unterdessen kündigt sich ein Oberstleutnant zu Besuch in der Basis an, mit zwei schönen, jungen Frauen im Schlepptau. Die beiden Frauen bilden einen Gegenpol zu der Szenerie in der Militärbasis. Eine der beiden, Yaeli, ist in Jagger verliebt und plant ihm ihre Liebe zu gestehen. Doch dies stellt sich als schwieriger dar, als gedacht, es gelingt ihr zuerst nicht Jagger in einem ruhigen Moment abzufangen und mit ihm zu reden. Doch Jagger hat keinerlei offensichtliches Interesse an ihr, Yaeli möchte dies aber nicht wahrhaben und verweigert sich der Realität.
Unterdessen gibt der Oberstleutnant bei einem gemeinsamen Essen der Soldaten bekannt, dass sie in der folgenden Nacht einen Hinterhalt legen sollen. Die Stimmung auf der Basis fällt ab, denn alle wissen, wie gefährlich so etwas sein kann.
Jagger kommt mit der Situation, nicht offen seine Gefühle Yossi gegenüber zeigen zu dürfen, nicht klar und fordert von Yossi ein Ende der Heimlichtuerei. Ein Streit bricht kurz vor ihrem gemeinsamen Einsatz aus, doch während die beiden auf der Lauer liegen, versucht Yossi sich mit Jagger wieder zu versöhnen, Jagger blockt aber ab.
Kurz bevor Yossi den Hinterhalt auslösen will explodiert eine Miene. Mehrere Soldaten werden verletzt. Der Zuschauer weiß bereits, dass dies nicht gut Enden kann, dies ist nunmal kein Film gemacht für ein Happy End. Und so kommt es auch. Jagger liegt verletzt auf dem Boden, Yossi eilt zu ihm, ein anderer Soldat ist dabei. Jagger noch bei Bewusstsein, fragt Yossi, ob er ihn liebe. Yossi, den Tränen nahe, aber immernoch um Fassung ringend, bejaht dies. Dem Soldaten, der dabei ist, wird es klar, wie die beiden zueinander stehen. „Wie in einem Hollywood Film, Yossi?“ „Ja, wie in einem Hollywood Film“ Dann stirbt Jagger.
Die nächste Szene spielt bei den Eltern von Jagger, alle Soldaten und auch Yaeli sitzen um der trauernden Mutter. Die Mutter bedauert es, ihren Sohn eigentlich nicht gekannt zu haben, sie wisse nicht einmal, welches sein Lieblingslied gewesen sei. Yossi nennt ihr Joggers Lieblingslied. Yaeli erzählt der Mutter, dass Jagger und sie ein Paar gewesen seien. Yossi sitzt daneben, er weiß es besser, aber er darf nichts sagen, ihre Liebe wird niemals öffentlich werden, es wird immer das sein, was es schon immer war: ein Geheimnis zwischen Jagger und Yossi.

Mein Urteil? Genialer Film! Der Film dauert angenehme 65 Minuten und hebt sich durch einige, surreale Kameraeinstellungen deutlich von dem filmischen Mainstream, den man sonst gewöhnt ist, ab. Das hat mir sehr gefallen. Die Musik in dem Film unterstreicht die Atmosphäre auf dem schneebedeckten Berg perfekt. Die erste israelische Filmproduktion, die ich gesehen habe und ich habe Lust auf mehr bekommen. Trotz des immer noch brisanten Themas wurde der Film, wie ich gelesen habe, auch in Israel ein großer Erfolg. Liebe lässt sich halt nicht in gesellschaftliche Normen einengen, Liebe lebt durch die Menschen und das ist auch gut so.

Mittwoch, 22. Februar 2012

„Hamburg meine Perle“ - Bekenntnis zur Heimat

Das war schon längst überfällig, eine Ode an die wunderbare Stadt im Norden, Hamburg! Mir wurde es in den letzten Jahren immer mehr bewusst, vor allem, wenn ich mich in anderen Städten aufhielt wurde es mir immer klarer: In Hamburg bin ich zu Hause, Hamburg ist meine Heimat, hier ist mein Hafen, mein Ruhepol, mein Leben!

Ich glaube so denkt jeder von seiner Heimatstadt; oder die meisten. Was mich ein wenig nervt ist das ewige Werben für die „schönste Stadt der Welt“. Natürlich ist Hamburg schön, natürlich liebe ich Hamburg, natürlich! Aber das ist rein subjektiv, ich wäre niemals so arrogant zu behaupten, dass Hamburg die Stadt wäre. Hamburg ist meine Stadt und die Stadt eines jeden, der sie lieb gewonnen hat. Doch was ist, was ich hier habe und was mir in Städten wie London, Prag, Paris, Berlin oder New York so fehlt? Es ist das Gefühl zu Hause zu sein. Ich liebe es an einem lauen Sommermorgen am Hafen entlang zu schlendern und wehmütig in die Ferne zu blicken. Wenn ich mir meinen ersten Kaffee am Morgen Kaufe, werde ich mit einem forschen „Moin“ begrüßt und entgegne mit „Moin, Moin“ und beim verlassen des Zeitungsladens verabschiede ich mit einem „Tschüss“. Ja, die Hamburger leben irgendwie in ihrer eigenen Welt. Das Gemüt der Menschen hier ist mindestens genauso kühl, wie das Wetter. Humor ist hier viel subtiler. Das liebe ich. Das erinnert mich an Heimat.

Ich denke jeden Hamburger verbindet ein leben lang etwas mit seiner Stadt, Helmut Schmidt lehnte den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ab, er fühlte sich immer noch als Hanseat. Aus Sicht der Hamburger hat er dabei eine wunderbare Figur gemacht, man konnte Stolz auf ihn sein. Außerhalb hat man ihn vielleicht missverstanden, ihm sogar Arroganz vorgeworfen. Doch dieses ganz typische hanseatische Denken wurzelt in der Überzeugung, dass sich kein Hamburger über den anderen stellen sollte, jeder ist hier gleich, niemand soll hochdekoriert durch die Stadt flanieren. Das schickt sich nicht für einen Hamburger, das macht man hier nicht. Dies ist das Band, dass uns hier alle irgendwie auf die eine oder andere Art verbindet, natürlich ist auch ein hauch Stolz dabei, ein kühler hauch von Stolz.

Doch vor allem ist es irgendwie die Sprache, die uns nach außen hin erkenntlich macht als Hamburger. Mir wurde schon oft in Berlin oder anderswo attestiert, ich spräche ganz klar wir ein Hamburger. Und wie spricht an Hamburger? Na eben ganz klar, deutlich und ohne regionalen Akzent. Achso. Nun, ich denke unsere regionalen Eigenheiten sind durchaus in vorhanden, bloß halt auch ein wenig versteckter. Wenn ich irgendwo, fernab von Hamburg davon reden würde den Boden zu feudeln, oder nach dem Weg in die Bücherhalle fragen würde, würde man mich verwundert anschauen.

Nun irgendwie kann ich nicht ohne. Ich bin manchmal so dankbar am hamburger Hafen stehen zu können und mir eine ordentliche steife Briese um die Ohren wehen zu lassen. Dann komme ich zur Ruhe.

Dienstag, 21. Februar 2012

„Acta ad Acta!“ - Eine neue Protestkultur in Deutschland?

Zuerst ist es nur ein paar Zeitungen zu lesen, beinahe beiläufig wird vom Anti-Counterfeiting Trade Agreement (kurz: Acta) berichtet. Man überfliegt es schnell und bleibt dann doch hängen. „Da kommt noch was auf uns zu“ schießt es mir durch den Kopf. Und ich sollte Recht behalten. Einige Tage später macht sich diese Meldung wie ein Schauder innerhalb der Europäischen Union breit. Die europaweiten Occupy-Proteste liegen noch nicht weit zurück und immer mehr Menschen beginnen sich darauf zu besinnen, dass es sich lohnt seiner Meinung Luft zu machen, dass es sich lohnt auf die Straßen zu ziehen, denn das mediale Interesse ist ihnen sicher!

Vor ein paar Wochen wurde dann auch in Deutschland zu Protesten gegen Acta aufgerufen, nicht nur das allgemeine Interesse der Zeitungen und des Fernsehens ist hoch, das der Internetbenutzer ist es auch. Und so flackern beinahe minütlich auf meiner Facebookseite aktuelle Meldungen und Informationsvideos auf, es breitet sich wie ein Lauffeuer aus. Die Menschen wachsen in ihrem Unmut zusammen, schnell wird mir es mir klar: Ein neues, aktuelles Thema beginnt die Menschen wieder auf die Straßen zu treiben.

Da ich zur Zeit der Occupy-Proteste nicht in Europa war, wollte ich nun dies zum Anlass nehmen, um mir selbst ein Bild von der neu erstarkten Protestkultur in Deutschland und Europa zu machen. Doch ist dies wirklich eine neue Protestkultur? Regt sich nun endlich wieder was bei den Menschen? Ich bin davon überzeugt, dass dies der Fall ist. So viele und gut besuchte Proteste hat man in Deutschland und Europa schon lange nicht mehr gesehen. Man entdeckt die eigene Stimme wieder und erkennt dass diese gemeinsam auch die Politiker erreichen, scheinbar, doch dieser Schein reicht aus, um das Feuer des Aktivismus neu zu entfachen.

Unter den Protestlern mischen sich auch viele alt Eingesessene, Menschen, die man auf den meisten Demos in Hamburg sieht. Man grüßt sich im vorbeigehen und wird dann von der Menge in der Mönckebergstraße wieder weitergeschoben. Ich bekomme Gänsehaut. Die Atmosphäre ist aufgeheizt, aber friedlich, die Menschen rufen ihre Botschaft frei heraus und andere antworten ihnen. Ich beginne mein Vertrauen in Europa wieder zu gewinnen, es ist nicht nur eine Idee, die uns eint, es sind gemeinsame Interessen, die uns über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg zusammenführen.


Montag, 20. Februar 2012

„Schmuck der Straße“ - Die andere Seite des Kiezes

Ich halte mich eigentlich für einen sehr weltoffenen und toleranten Menschen; offen für andere Lebensweisen und tolerant gegenüber anderen Lebenskonzepten.
In Hamburg und darüber hinaus kennt man sie: die Reeperbahn. Doch wie viele kennen sie wirklich? Einige der eingefleischten Kiezgänger haben sie sicherlich schon bemerkt, die Seitenstraße hinter der Großen Freiheit, die Schmuckstraße, den kleinen, unbeleuchteten, schummerigen Pfad. Noch in heiterer Partylaune wirkt man ein wenig angespannt, wenn man auf dem Weg billigen Alkohol zu kaufen in die Schmuckstraße einbiegt. Hastig und dicht an die Häuser gedrängt laufen die meisten mit gesenktem Kopf in Richtung „Supermarkt an der Ecke Hamburger Berg“. In der Hoffnung unauffällig zu sein, von niemandem bemerkt zu werden, passiert es mir: „Hola linda chica!“ Irritiert blicke ich auf und bemerke die zwei Meter große Gestalt in knappen Fummel. Eine von den Transsexuellen der Schmuckstraße. Aus Angst und Respekt gehe ich schnell weiter und biege wieder ab, in den Supermarkt. Geschafft!

Seit meinen ersten Erfahrungen in der Schmuckstraße sind sie mir nicht geheuer, die großen Frauen, auf der Suche nach Freiern. Dort endet also meine Toleranz und meine Offenheit, dort in der Schmuckstraße. Das habe ich bis heute so hingenommen, niemand ist frei von Fehlern. Doch heute hat sich mein Bild von den Transsexuellen in der Schmuckstraße geändert.

Der Film beginnt mit der vertrauten Szenerie der Schmuckstraße bei Nacht. Ein Taxi fährt vor, die Tür geht auf, geschmeidig winden sich ein Paar Beine aus dem Innenraum. Ich habe das Gefühl direkt vor Ort zu sein, das schummerige Gefühl kommt auf. Doch der Kopf bleibt oben, von Neugier getrieben und in der Gewissheit, dass ich gerade in einem gut gefüllten Raum im „Projektor“ sitze.

Volle Lippen; eine wuchtige Hand mit überlangen, künstlichen Fingernägeln fährt mit einem Pinsel an den Lippen vorbei, sie glänzen. Die Kamera schwenkt in die Totale und nun sieht man sie, die große Frau mit den Silikonbrüsten, lässig sitzt sie vor einem Spiegel, die Beine übereinander geschlagen und sie beginnt zu erzählen, auf Spanisch. Die deutschen Untertitel geben Einblick in diese mir fremde Sprache und dem Gesprochenem. Ich Erfahre mehr, ich erfahre von den Träumen der jungen und alten Frauen, sie alle eint die Hoffnung auf ein besseres Leben fernab von Familie und Heimat. Sie hassen ihren Job. „Wenn du Geld hast bist du ein König, wenn du keines hast bist du ein Niemand.“ Und auf der Leinwand sehe ich keine Niemande, sondern Könige oder Königinnen; wie man es nimmt. Aussehen ist ihr Kapital, ihre Versicherung.

In der nächsten Szene sieht man eine von Ihnen am Küchentisch sitzen, in den Annoncen der hiesigen Zeitung blätternd, hin und wieder wandert der Kugelschreiber auf die Zeitung, um vielversprechendes zu markieren. Kurzerhand wird sich eine Zigarette angesteckt, der blaue Dunst füllt den Raum. Sie erzählt davon wie es ist Transsexuell zu sein. Als Frau sieht sie sich nicht, auch nicht als Mann, sie sieht sich vielmehr als ein mythologisches Wesen, zwischen den Welten und Geschlechtern. Sie ist Stolz, nicht jeder hat das Potential so auszusehen und dabei noch ein kleines Extra zu haben. Man merkt, dass sie ihr Leben nimmt, wie es ist, sie ist heiter und selbstironisch. Wie weggefegt ist mein anfängliches Misstrauen gegenüber diesen Gestalten, ich beginne sie als sympathische Personen wahrzunehmen. Die Zuschauer, darunter Ich, werden während der 70 Minuten immer weiter in den Alltag der Transsexuellen aus Lateinamerika auf dem Hamburger Kiez mitgenommen, wir erfahren von den Träumen einiger von Ihnen, die Laufstege der ganz großen Designer zu erobern oder von den Wünschen nach der deutschen Staatsbürgerschaft, denn schließlich haben sie „Deutschland so viel gegeben“, dass sie nun auch etwas zurückverlangen können und dies ist nicht mehr oder weniger als ein Leben in der Normalität.

Diese ganze Welt beginnt sich im Laufe des Filmes zu entzaubern und ich rücke meiner Heimat, Hamburg, ein Stückchen näher, ich beginne zu verstehen. Denn es ist das Verständnis, dass mir fehlte, das Verständnis, dass mich auch dort in der Schmuckstraße tolerant und offen sein lässt und ich bin dankbar, dass sich endlich jemand diesem hanseatischen Kleinod angenommen hat und uns in die Schmuckstraße noch einmal entführt; oder besser gesagt: geführt hat.